Kollektive
Nutzungsrechte an Feldern und Wäldern im Klosteramt
Reichenbach (Teil 2): Weiderechte |
Als
Weideland genutzt wurden ausgewiesene, wenig ertragreiche
Böden der Feldflur und der Wald sowie die besseren
Böden der Äcker und Wiesen nach der Ernte. Weidevieh
waren vor allem Rinder und Schweine, die im Lagerbuch
meist auch stellvertretend für alle genannt werden. Eine
ausführliche, in drei Gruppen geteilte Liste findet sich
im Kapitel "Des Closters alte Gebräuch, und
Gewohnheiten zue Reichenbach": dort werden genannt
in der ersten Gruppe Kühe und tragende Kalbinnen
(Jungrinder), in der zweiten Gruppe das
"Gustvieh", nämlich Ochsen, Stiere,
nicht-tragende Kalbinnen, Pferde, auch Ziegen
("Gaißen und Böckh") und in der dritten
Gruppe die Schweine (Schafe, die es, vielleicht nur in
geringen Zahlen, wohl gegeben haben muss, werden nicht
aufgeführt). Die Dreierteilung war insofern von Relevanz
als die drei Gruppen, zumindest in Reichenbach, unter je
eigenen Hirten auf verschiedene Weiden geführt werden
sollten: die erste Gruppe in die gemeindenahen, meist
auch besseren Weiden, das Gustvieh in die entfernteren
Weiden, auch in den Wald und die Schweine generell in den
Wald. Diese Regularien galten im Detail nur für die Reichenbacher Bürger, sie sind aber in ähnlicher Weise auch in den einzelnen Dörfern zu finden, namentlich wird die Absonderung der Schweine und ihre Weide ausschließlich im Wald allgemein so gehandhabt worden sein. Sie muss die Hirten oft weit vom Dorf weggeführt haben, dennoch war die abendliche Rückkehr in den Hof wohl üblich. Die Waldweide der Schweine war von besonderem Interesse, wenn das Eckerich fiel, also die Früchte der Buchen und Eichen, die als vorzügliches Futter der Schweinmast galten (wobei man sich die Schweine dieser Zeit nicht als fett, sondern als kernig vorstellen muss; auch waren beabsichtigte oder unbeabsichtigte Einkreuzungen von Wildtieren während der Waldweide wahrscheinlich nicht selten). Wie in der Übersicht (Teil 1) schon berichtet, war das Eckerich ebenso begehrt wie umstritten, selbst in den kommunalen Wäldern. Die Reichenbacher Bürger wie auch die Bauern auf den Höfen und in Huzenbach, die auf keine eigenen Kommunalwälder zurückgreifen konnten, waren ganz auf den staatlichen Klosterwald angewiesen. Doch während den Huzenbacher und den Höfer Bauern der Zugang zum Eckerich "ußer Gnaden, und zue keiner gerechtigkeit", auf den Höfen zudem "umb ein gewises Müethgellt", erlaubt wurde, fehlt - so weit ich sehe - ein vergleichbares Zugeständnis an die Reichenbacher Bürger. Außerhalb der Fallzeit des Eckerichs scheint jedoch namentlich den Reichenbachern die Weide im Klosterwald uneingeschränkt gestattet gewesen zu sein. Selbst Gemeinden, die über einen kommunalen Wald verfügten, wie Heselbach oder Schwarzenberg, hatten Zugang zu Teilen des Klosterwalds: Heselbach zum Dammerswald jenseits der Murg und Schwarzenberg (zusammen mit Huzenbach) in den "Schawenburger Wäldt umb- und an der Mentzacht" (wohl die Schönmünzach). Vor allem aber standen ihnen die gemeindeeigenen Wälder zur Verfügung, und zwar in Heselbach der Röswald, in Röt der Etterswald und Röter Wald westlich der Murg sowie der Bruckenwald und Gläserberg östlich der Murg, in Schwarzenberg der Wald zwischen Murg und Alter Weinstraße. Die Waldweide war wohl unerläßlich, jedoch nicht unumstritten, hemmte sie doch den natürlichen Aufwuchs junger Bäume und hinterließ die typischen "Hutewälder". Doch verschwanden diese und die Waldweide nach den großen Holzeinschlägen im 18. Jahrhundert und der Wiederaufforstung mit Nadelhölzern. Noch komplizierter als die Waldweide gestaltete sich die Regulierung der "Trath" (Tratt), also der Weide auf den abgeernteten Äckern und Wiesen, zumal diese fast ausschließlich in privater Hand waren. Vom Frühjahr bis zur Ernte blieben diese Felder verständlicherweise der Weide verschlossen ("gebannt"), davor und danach aber - im Falle langer und schneereicher Winter faktisch stark eingeschränkt - waren sie zur Tratt freigegeben. Während nun die Bannzeit im Klosteramt einheitlich an Georgii (23. April) begann - ein Termin allerdings, von dem je nach Stand der Vegetation nach Beschluss der Gemeinde um einige Tage abgewichen werden konnte, endete der Felderbann zu verschiedenen Zeiten, überwiegend freilich an Martini, das ist der 11. November. Dieser Termin galt jedoch, von ein paar Ausnahmen abgesehen, nicht für Reichenbach; dort endete der Bann auf den alten, jetzt privatisierten Klostergütern an Galli (16. Oktober) und auf den kleinen Besitztümern der angesiedelten Handwerker und Taglöhner schon an Michaelis (29. September) - vielleicht ein Zeichen dafür, dass das Weideland für die wachsende Zahl der Reichenbacher Bürger knapp wurde. Für einige Felder, es handelt sich durchweg um Wiesen, endete die Bannzeit noch früher: das war dann der Fall, wenn eine Wiese nur Heurecht hatte, eine zweite Heuernte, die "Öhmd", also nicht beansprucht werden konnte. Diese Wiesen waren nur bis Jacobi (25. Juli), längstens bis Bartholomäi (24. August) gebannt oder - wenn kein Datum genannt wurde - bis "das Heu herab kommt". Von dieser Einschränkung waren etliche Wiesen in Reichenbach, aber auch die "Gern" und die Röswies in Heselbach sowie das sog. Abtswieslein in Röt betroffen. Es überrascht sicher nicht, dass die Besitzer dieser Wiesen versuchten, ihr beschränktes privates Nutzungsrecht auf die zweite Heuernte zu erweitern. So gab es in den Jahren vor der Niederschrift des Lagerbuchs ein langes Hin und Her insbesondere um die Rechte an drei Wiesen am Ailbach, die im Besitz des Gastmeisters waren und nach der ersten Heuernte neben den Reichenbachern auch den Heselbachern Bürgern zugänglich gemacht werden mussten, und um die Wiesen im Nötlinstrauf, die in Händen des Ochsenmeiers und zweier Reichenbacher Bürger waren und nach der ersten Heumahd für alle Reichenbacher sowie für die Bauern auf den Höfen als Weideland geöffnet werden mussten. Trotz dieser und anderer Querelen wurde die Tratt, anders als die Waldweide, auch von den Besitzern der Felder nicht ungern gesehen, sorgte sie doch - neben der Zuleitung mineralhaltigen Wassers aus den Bergen und der Verteilung des winterlichen Stallmistes - auch für die nötige Düngung der Böden. Die ausschließlich als Weideland ausgewiesene Feldflur, die Allmand im eigentlichen Sinne, war möglicherweise gerade in Reichenbach, das in der Klosterzeit ja keine ortsansässigen Bauern hatte, von bescheidenem Zuschnitt und wurde nach der Ansiedlung von Handwerkern, die alle etwas Land zur Selbstversorgung brauchten, noch beengter. Vielleicht haben auch die Besitzer der privatisierten Klostergüter, namentlich des Ochsenguts und des Reichenbachs, auf ihren reichlich bemessenen Feldern eigene Flächen als Weideland benutzt. Ähnliches galt für Röt und wohl besonders für die Höfe im Tonbach, wie die folgende Passage aus dem Höfer Teil des Lagerbuchs nahelegt: "Denn Viehtrib und Waidtgang hatt die Zeit hero ein jeder Höferbaur im Thonbach auff seinem aignen Gueth und Veldern gehalten". Daneben standen den Höfern (wie den Rötern) aber auch Allmandfelder zur Verfügung, so die "Miss" jenseits der Murg - auch sie, wie meist, kein besonders fruchtbares Gelände, dessen ungefähre Lage man auch heute noch, obwohl durch die Bahnlinie zerschnitten, erkennen kann. Alles in allem war Weideland knapp und begehrt. Kein Wunder also, dass man allenthalben die Zahl der Weidetiere zu begrenzen suchte, sei es indirekt über den Entlohnungsschlüssel für die Hirten, sei es direkt durch Fixierung von Höchstzahlen. Weit verbreitet, so auch im Klosteramt, war die sog. Winterungsregel; sie wurde oft nur auf Rinder (oder nur auf Kühe) angewandt und besagte, dass nur so viele Tiere auf die Weiden getrieben werden durften wie über den Winter im Stall gefüttert werden konnten. Mit dieser Regel sollte nicht nur ein Notstand im Winter vermieden werden, sondern auch verhindert werden, dass fremdes Vieh, zum Beispiel aus städtischen Gemeinden, gegen Entgelt den Sommer über in Pflege genommen und auf das Weideland des Klosteramts geführt wurde. Um Kollissionen zwischen den Weiderechten und anderen legitimen Rechtsansprüchen zu minimieren, waren allen an der Weide beteiligten oder von ihr betroffenen Bürgern spezifische Pflichten auferlegt. Von allen Dorfbewohnern wurde verlangt, dass sie ihre Gärten, und zwar nicht nur die Gemüsegärten, sondern auch die größeren Baum- und Grasgärten, einzäunten. Von ihren Besitzern einzuzäunen waren auch etliche Felder an den Wegen, über die vornehmlich das Vieh getrieben wurde; mussten Wegerechte Dritter durch die Felder gewahrt werden, waren entsprechend Durchgänge ("Luckhen" oder "Stigel") vorzusehen. Die Viehbesitzer waren gehalten, die Tiere nicht frei laufen und erst dann aus den Ställen zu lassen, wenn der Hirte blies (vielleicht auf dem aufgebohrten Horn eines Ochsen). In Röt und Schwarzenberg wurden sogar die Stellen festgelegt, an denen die Hirten blasen und die Herde um sich versammeln sollten, ehe sie das Dorf verließen. Dabei hatten die Hirten die vorgeschriebenen, oft von der Jahreszeit abhängigen Wege und Passagen einzuhalten. So waren die Weiderechte bis ins Detail hinein geregelt und gewiss der komplizierteste Bestandteil der kollektiven Nutzungsrechte. |
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02/08 Aktualisierung: 02/08 |