Studien
 
Die Frühzeit der bürgerlichen Gemeinde Reichenbach 1595 - 1668 (Teil 1):
Einleitung: Die bürgerliche Gemeinde
 

Die bürgerliche Gemeinde Reichenbach ist zum einen eine weltliche Gemeinschaft, die sich wesentlich von der geistlichen Gemeinschaft der Konventualen unterscheidet. Die Besetzung des Klosters durch Württemberg im Jahr 1595 beendet daher die geistliche und begründet zugleich die bürgerliche Gemeinschaft. Diese existiert seit 1595 durchgehend: die knapp zwanzigjährige Restitution zwischen 1629 und 1648 hat den prinzipiell weltlichen Charakter der Gemeinde nicht mehr verändern können.

Die bürgerliche Gemeinde ist zum andern eine Gemeinde der Bürger. Folgt man dem Bürgerbuch (VIII), das 1610 für alle Gemeinden des Klosteramts angelegt wurde, dann zählen zu den Bürgern die Oberhäupter, das können auch Witwen sein, der eingesessenen Familien und die nachgewachsenen Söhne über 18 Jahre. Zugezogene Personen werden nach einer Wartezeit als Beisitzer ins Bürgerrecht aufgenommen, wenn sie sich am Ort niederlassen, d.h. Besitz erwerben. Vor besitzlosen Zuwanderern sucht man sich dagegen rigoros zu schützen. Die Eingesessenheit oder der Erwerb von Haus- und Grundbesitz mit nachfolgender förmlicher Aufnahme ins Bürgerrecht sind also konstitutiv für den Status des Bürgers. Wer weder das eine noch das andere Merkmal erfüllt, ist demnach nicht Bürger, sondern - wenn und solange sein Aufenthalt geduldet wird - Einwohner der Gemeinde.

Ohne weiteres geduldete Einwohner Reichenbachs in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts sind die folgenden:

  • Der Schaffner ist weder eingesessen noch erlaubt ihm seine Dienststellung als leitender Verwaltungsbeamter des Klosteramtes die Niederlassung als Bürger (wahrscheinlich ist er, formal gesehen, Bürger seines Geburtsortes oder eines früheren Wohnortes). In Reichenbach ist er also prominenter Einwohner, aber nicht Bürger der Gemeinde.
  • Der Pfarrer, ebenfalls nicht eingesessen, verzichtet in der Regel auf das Bürgerrecht, zum einen, weil er bald auf eine andere Pfarrstelle wechseln wird, zum anderen, weil er als Pfarrer eigene Rechte besitzt, die ihm seinen Status sichern. Auch er ist also zwar Einwohner, aber nicht Bürger Reichenbachs.
  • Aus ähnlichen Gründen wie die Pfarrer scheinen auch die Lehrer, wenigstens in der Zeitspanne, die wir betrachten, nicht Bürger der Gemeinde zu sein. Auch sie haben eigene Rechte, die im Lagerbuch von 1668 niedergelegt, sehr wahrscheinlich aber älter sind.
  • Die Ordensbrüder oder Konventualen, die wir bis 1603 und dann noch einmal von 1629 bis 1648 in Reichenbach finden, sind ausschließlich Glieder einer geistlichen Gemeinschaft, hier des Benediktinerordens, mit einer eigenen Lebensordnung. Sie sind weder Bürger Reichenbachs noch einer weltlichen Gemeinde sonst.
  • Nicht Bürger sind oft auch die Pächter der großen Klostergüter, die Gastmeister, Müller und Maier: weil die Pacht auf Zeit (auf drei oder sechs Jahre) erfolgt, bleiben sie häufig Bürger ihrer Heimatgemeinden, wo sie meist erbliche Lehensgüter besitzen. Erst nach dem Verkauf der Klostergüter 1651 werden die Besitzer regelmäßig auch Bürger.

Wir finden demnach in Reichenbach

  • Personen mit Bürgerrecht, im eigentlichen Sinne: Bürger;
  • Einwohner ohne Bürgerrecht: insbesondere Schaffner, Pfarrer, Lehrer und Konventualen;
  • Personen, nämlich die Besitzer der großen Klostergüter, die von Pächtern zu Eigentümern und von Einwohnern zu Bürgern werden.

Im Mittelpunkt dieser Untersuchung soll die Gruppe der Bürger stehen: sie bildet den Kern der bürgerlichen Gemeinde. Doch ist auch den beiden anderen Gruppen je ein Kapitel gewidmet. Bevor wir uns jedoch den genannten Personengruppen zuwenden, sollen die Zeit und der Ort abgesteckt werden, die ihrem Schicksal den Rahmen setzen.

 

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