Studien
 
Eine genauere Lagebeschreibung des Ochsenguts
 
"Wo stand das alte Ochsengut des Klosters Reichenbach?" – diese Frage hatte ich in den „Freudenstädter Heimatblättern" (9+10/1999) formuliert und sie mit einer Hypothese beantwortet, die sich kurz so zusammenfassen lässt:
  1. Vom Ochsengut, das 1769 vor die Ringmauer verlegt wurde (heute: Waldknechtshof) muss es noch Spuren innerhalb der Ringmauer geben, wo es zweifellos ursprünglich stand.
  2. Es ist wahrscheinlich, dass das Ochsengut in der Nähe des Ochsentors zu suchen ist, vor dem sich mit Ochsenwies und Ochsenacker namhafte Felder des Guts ausbreiten.
  3. Versucht man die im Lagerbuch von 1668 genannten Gebäude innerhalb der Ringmauer mit Hilfe der ersten Flurkarte von 1837 zu identifizieren, dann bleibt für den Standort des Ochsenguts nur das Gebäude mit der alten Haus-Nr. 47 übrig (heute: Metzgerei Koch, vormals Würth): es erfüllt die Bedingung der Nähe zum Ochsentor.
  4. Das Haus 47 ist um 1840 im Besitz des Bäckers und Bierwirts Franz Jacob Klumpp (1785-1845), einem Enkel des Waldknechts und Ochsenmeiers Christian Klumpp (1732-1809), der das Ochsengut 1769 vor der Ringmauer neu errichtete: so sprechen auch die Besitzverhältnisse für das Haus 47 als Standort des alten Ochsenguts.

Diese Hypothese, zu der Walter Ruoss aus Klosterreichenbach weitere Indizien beisteuerte, ist plausibel, bewiesen ist sie bisher nicht. Ein Zufallsfund erlaubt es mir nun, die Hypothese zu beweisen. Das umfangreiche Aktenbüschel „Verkauf von Wildfeldern, 1700-1804" (LIII) enthält für das Jahr 1788 einen Vorgang, der dort eigentlich nicht hingehört: In Erwiderung einer Anzeige legt der Oberamtmann Christoph Friedrich Heller in einem Bericht an die herzogliche Kanzlei in Stuttgart dar, dass ein an alter Stelle neu erbautes Haus, das der Ochsenmeier Christian Klumpp für seinen ältesten Sohn Jacob Friedrich Klumpp (1756-1844) errichten ließ, das Grundmaß des abgebrochenen alten Hauses nicht überschreitet.

Das neue Haus ließ der Ochsenmeier errichten „auf einem Theil seiner alten Hofstatt", also auf der Hofstatt des Ochsenguts. Wo liegt die Hofstatt? Folgen wir dem Bericht des Oberamtmanns, dann ist sie „einerseits durch die gemeine Straß und andererseits durch den Wassergraben, vornen durch den Closterhof und hinten durch Ludwig Schaiblens Kinder Hofstatt" begrenzt. Fragen wir zunächst, denn sie ist am präzisesten lokalisierbar, nach der Hofstatt von Ludwig Schaiblens Kinder.

Vater der Kinder ist der Weber Johann Ludwig Schaiblen (1724-1775), der 1752 Agatha Frey (1726-1783) heiratete. Beide Eltern sind 1788 bereits verstorben, Erben der Hofstatt sind die Kinder, von denen 1788 noch zwei leben: Johann Peter (*1758) und Johann Ludwig Schaiblen (*1768). Während der ältere Bruder wohl bald nach 1788 von Reichenbach wegzieht (so jedenfalls eine schwer lesbare Notiz im Taufbuch), heiratet der jüngere 1793 in Reichenbach die Rosina Dorothea Haisch (1769-1838). Johann Ludwig Schaiblen – er ist Weber, wie sein Vater – ist also der eigentliche Erbe der Hofstatt (L). Sie liegt dem „Handlohn- und Weglösebuch" von 1789 (XXII) zufolge „am oberen Thor", das ist das Ochsentor.

Jetzt aber wird es kompliziert: Johann Ludwig Schaiblen, so vermerkt das Seelenregister aus dem Jahr 1800, „verlässt die Familie und heiratet in Frankreich". Die verlassene Familie umfasst nie mehr als drei Personen, denn das Ehepaar Schaiblen-Haisch bekommt nur ein Kind, das 1794 geboren ist und nach einem Jahr stirbt. Nur in dieser Zeit also, 1794/95, konnte Johann Ludwig Schaiblen seine „Familie" verlassen. Sicher brauchte es einige Zeit, die alte Ehe aufzulösen, damit die zurückgelassene, aber noch junge Ehefrau eine neue Ehe eingehen konnte. Im Jahr 1802 schließlich heiratet die Rosina Dorothea Haisch den Wagner Jacob Eberhardt (1775-1831). Beider Sohn, der Wagner Friedrich Eberhardt (1803-1891), ist um das Jahr 1840 Besitzer des Hauses 43, des „Torhäusleins" am Ochsentor (LII). Das alte Ochsengut stößt demnach „hinten" an das Torhäuslein (vgl. hierzu und zum folgenden auch den Lageplan).

„Vornen" soll das Gut am Klosterhof liegen. Mit diesem Hof ist wohl nicht das Innere der Klausur gemeint, das durch den Rest des Südflügels versperrt ist. „Klosterhof" müsste dann eher der Platz vor dem alten Südflügel und westlich des alten Klostergartens sein, der heute von einer Ortsstraße eingenommen wird.

Zwischen diesem Platz und dem Haus 43 liegt bis heute nur ein Gebäude, das Haus 47 mit seinem Garten, der die Parzellen-Nr. 32 trägt. Dass Haus und Garten einerseits (im Westen) durch die „gemeine Straß" begrenzt sind, ist offensichtlich. Doch sind sie, auf der anderen Seite, durch „den Wassergraben" begrenzt?

Tatsächlich stößt die Parzelle 32 an einen damals offenen „Wassergraben": es ist der Mühlbach, der von der Mühle herunter kommt und vor der Parzelle 32 nach Süden biegt und diese nach Osten begrenzt.

Zu klären bleibt schließlich die Frage, inwiefern die hier vorgestellte und diskutierte genauere Lagebeschreibung tatsächlich ersetzt werden kann durch die ungenaue Lagebeschreibung des Ochsenguts im Lagerbuch von 1668: „steht allerseits zwischen deß Closters Allmeindt". Die „gemeine Straß", schon der Name weist darauf hin, ist ebenso Teil des Gemeinbesitzes wie der Klosterhof und der Wassergraben (Mühlbach) – diese Ortsbezeichnungen stehen nicht im Widerspruch zum Lagerbuch, sie sind, wofür wir dankbar sind, einfach präziser. Auf den ersten Blick aber scheint die Ortsbezeichnung „Ludwig Schaiblens Kinder Hofstatt", bei der es sich eindeutig um Privatbesitz handelt, nicht vereinbar mit der Formulierung im Lagerbuch. Genau besehen aber stößt die Parzelle 32, der Garten des Hauses 47, nicht direkt an die Hofstatt des Torhäusleins (Haus 43), vielmehr ist sie bis heute durch einen schmalen öffentlichen Weg von dieser getrennt: Allmeindt. Es sieht so aus, als habe sich der Oberamtmann Heller einer kleinen Ungenauigkeit schuldig gemacht, die wir heute als hilfreich empfinden.

Typoskript: 10/01
Druckversion: Freudenstädter Heimatblätter, 11/2001
Internetversion: 10/03
Aktualisierung: 10/03