Studien
 
Wo stand das alte Ochsengut des Klosters Reichenbach?
 
1. Ochsengut und Ochsentor

2. Der Klosterbezirk 1668 und 1837

3. Die Besitzer des Hauses 47

 
Soweit ich sehe, gibt es keine genaue Lagebeschreibung des alten Ochsenguts zu Reichenbach. Im Lagerbuch von 1668, sonst zur Standortbestimmung recht hilfreich, steht das Gut "allerseits zwischen deß Closters Allmeindt" (XXXV, S. 237). Aus dieser leider wenig präzisen Beschreibung darf man nicht schließen, dass das Ochsengut schon 1668 außerhalb der Ringmauer stand. Die Allmeindt, also den Gemeindebesitz, gab es sowohl außerhalb als auch innerhalb der Ringmauer. Deshalb stoßen z.B. auch die Klostermühle und der alte Reichenbach, beide zweifellos innerhalb der Ringmauer liegend, im Lagerbuch an die Allmeindt. In den "Freudenstädter Heimatblättern" (1997, Nr. 4) habe ich gezeigt, daß der Waldknechtshof die Tradition des alten Ochsenguts fortführt, nachdem dieses 1769 nach draußen, vor die Ringmauer, verlegt wurde. Bis dahin stand das Gut innerhalb der Ringmauer. Aber wo?

Naheliegend ist es, das Ochsengut in der Nachbarschaft des Ochsentors zu suchen, dem es vielleicht seinen Namen gegeben hat. Aber als wirklich schlüssig erweist sich dieser Zugang nicht (Abschnitt 1). Versucht man, mit Hilfe der ersten exakten Flurkarte aus dem Jahr 1837 und den Lagebeschreibungen im Lagerbuch von 1668 den alten Klosterbezirk zu rekonstruieren, dann gelangt man immerhin zu einer plausiblen Hypothese über den Standort des Ochsenguts (Abschnitt 2). Diese Hypothese läßt sich insbesondere mittels genealogischer Betrachtung der Besitzer des Hauses mit der alten Nummer 47 - heute: Metzgerei Koch, vormals Würth - erhärten (Abschnitt 3).

 
1. Ochsengut und Ochsentor

Die Ringmauer des Klosters Reichenbach hatte zwei Tore. Im Norden, nach Heselbach zu, lag das Untere oder Weihertor. Es trug seinen zweiten, bildhafteren Namen vom alten Fischweiher, der sich im Nordosten, rechts neben dem Weiherdamm an die Ringmauer anschloß. Im Süden lag das Obere oder Ochsentor. Die Vermutung liegt nahe, daß dieses Tor seinen zweiten Namen vom Ochsengut herleitet. Sucht man nach Gebäuden innerhalb der Ringmauer, die in unmittelbarer Nähe zum Ochsentor lagen, dann stößt man auf zwei - das Ochsengut ist allerdings nicht dabei (vgl. dazu und zum folgenden die Rekonstruktion des Lageplans). Östlich des Tores, und zwar direkt daneben, stand das alte Torhäuslein, westlich des Tores die stattliche Klosterscheuer (XXXV, LII).

Das Torhäuslein wurde 1624 an den Küfer und Kastenknecht Georg Klein verkauft (XIII). 1668 ist es, wie wir dem Lagerbuch entnehmen können, zerstört (S. 193) - wahrscheinlich aus dem Dreißigjährigen Krieg. Zerstört scheinen auch weite Teile der Südmauer, denn 1751 tut sich der "Mühlenvisitator" Johann Wilhelm Götz bereits schwer, den Verlauf der Südmauer im sogenannten Mühlenplan (Ausschnitt) zu rekonstruieren. So zieht er zwischen dem Dornstetter Weg und der Sägmühle einen geraden Strich, so dass der alte Reichenbach, dessen Südfront eigentlich in die Mauer eingebunden war, weit vor die Mauer geriet. Anders als die Südmauer muss das Torhäuslein wieder aufgebaut worden sein, denn wir finden es 1837 auf der Flurkarte: es trägt die Nr. 43 und ist im Besitz des Wagners Friedrich Eberhardt (LII). Und noch 1959 ist das Torhäuslein auf einer Skizze, die Architekt Bohnet (Klosterreichenbach) angefertigt hat, in seinen alten Proportionen (typisch: der schmale, langgestreckte Grundriß) ebenso erhalten wie auf dem Foto aus der gleichen Zeit von Walter Ruoss; Besitzer ist Wagnermeister Fritz Frey. Heute finden wir Reste des alten Torhäusleins im hinteren, östlichen Teil des Blumenhauses Rothfuß.

Wenn das Haus mit der alten Nr. 41 (Foto), in dessen Fundament der Gedenkstein von Christian Bitsch (Foto) eingemauert ist, an derselben Stelle steht wie das alte Haus von Bitsch, dann verlief die Südmauer hart nördlich davon. Denn die "Hofstatt", der Bauplatz, den Christian Bitsch 1621 kauft, liegt vor dem Ochsentor, "auf dem Sägewasen" (XIII). Dann springt die Mauer entlang der Westseite des Torhäusleins nach Norden zurück. Daraus dürfen wir schließen, dass das Ochsentor nicht auf der Höhe der Südfront, sondern auf der Höhe der Nordfront des Torhäusleins zu suchen ist. Das Torhäuslein bildete dann nicht nur mit seiner Südseite, sondern auch mit seiner Westseite einen Teil der Südmauer.

Die enge Südwestecke der Ringmauer wird praktisch vollständig eingenommen von der stattlichen Klosterscheuer "bey dem Ochsenthor" (XXXV, S. 94). Wir finden sie auf der Flurkarte von 1837 (Nummer 44) und im zugehörigen Kataster mit einer Grundfläche von fast 270 qm (LII). Da ist kein Platz mehr für das Hofgebäude des Ochsenguts. Nun muss das Tor nicht vom Hofgebäude des Ochsenguts seinen Namen bekommen haben, denn vor dem Tor liegen mit Ochsenwies und Ochsenacker die wichtigsten Ländereien des Ochsenguts, die ebenfalls namengebend gewesen sein können. Wir werden aber auch noch Hinweise finden, dass das Hofgebäude zwar nicht in unmittelbarer Nähe zum Ochsentor zu suchen ist, aber doch immerhin in seiner Nachbarschaft. Zu dieser Hypothese gelangt man anhand eines Vergleichs des Lagerbuchs von 1668 mit der Flurkarte von 1837.

 
2. Der Klosterbezirk 1668 und 1837

Die öffentlichen Gebäude des Klosters sind im Kapitel "Deß Closters aigenthumbliche Gebäw und Güetter" des Lagerbuchs von 1668 aufgeführt. Es sind innerhalb der Ringmauer die folgenden (XXXV, LII; dazu der Lageplan):

  • Die Klausur des Klosters mit der Kirche und den drei Flügeln: dem "vorderen, mittleren Und hinderen Gebäw". Bewohnt vom Schaffner ist nur das vordere Gebäude, der Westflügel (Foto); die beiden anderen Flügel stehen leer - der erste Schritt zum Verfall. Auf der Flurkarte von 1837 finden wir neben der Kirche (sie trägt die Nr. 1) nur noch den Westflügel und Reste des Südflügels (Nr. 2). Südlich an die Klausur schließt sich mit "dritthalb Viertel" (ca. 2000 qm) des Klosters Küchen-, Baum- und Grasgarten an.
  • Das "Bindt- und Schulhaus", den Kasten (Nr. 3), östlich der Klausur und nahe der Ringmauer, finden wir noch heute (Foto); als Schulhaus wird das Gebäude allerdings schon 1668 nicht mehr genutzt.
  • Die Klosterscheuer (Nr. 44), deren Lage und Größe wir im Abschnitt 1 schon besprochen haben, steht dem Schaffner zur Verfügung.
  • Das Pfarrhaus (Nr. 46) an der Westmauer (Foto) hat eine eigene Scheuer. Vor dem Pfarrhaus liegt ein Küchengarten und nördlich davon ein Baum- und Grasgarten mit einem Backofen, der auch vom Schaffner genutzt wird.

Mehr öffentliche Gebäude innerhalb der Ringmauer nennt das Lagerbuch nicht. Wir vermissen den Gefängnisturm (Nr. 4; Foto) südlich der Klausur, den es eigentlich gegeben haben müßte; vielleicht ist er 1668 zerstört.

Die privaten Güter finden wir in mehreren Kapiteln am Ende des Lagerbuchs. An Gebäuden innerhalb der Ringmauer werden die folgenden genannt (XXXV, LII):

  • Die Gastherberg (Nr. 49) mit der "Metzig" (der Gastmeister war zugleich der Metzger des Orts) in der Nordwestecke der Ringmauer. Der Klostergasthof steht als einziges der alten Güter noch heute (Foto).
  • Mit seiner Außenwand auf der Südmauer stand der Reichenbach (Nr. 7), später nach seinem Besitzer "Teufelsbauernhaus" genannt und 1955 abgebrochen (Foto).
  • Östlich an den Reichenbach schloß sich die Klostermühle (Nr. 6) an, die 1976 abgebrannt ist (Foto).

Über das Torhäuslein (Nr. 43), das im Lagerbuch als zerstört gemeldet wird, haben wir bereits berichtet. Damit sind alle Gebäude innerhalb der Ringmauer, die im Lagerbuch genannt werden, mit Hilfe der Flurkarte identifiziert, bis auf zwei: das Haus des Bäckers Hans Keck und das gesuchte Ochsengut. Auch auf der Flurkarte bleiben zwei Gebäude übrig, die noch nicht zugeordnet sind: die Häuser mit den Nummern 5 und 47. Ist eines der beiden Häuser das alte Ochsengut?

Im Lagerbuch wird die "Behaußung" von Hans Keck so lokalisiert: "innerhalb des Closters Ringmauren, bei der Mahlmihlen ... an dem Clostersgarthen" (S. 251 f.). Damit kommt wohl nur das Gebäude mit der Nummer 5 (später: "Märtesbauer") als Haus oder als Standort des Hauses von Hans Keck in Frage. Sucht man nach dem Besitzer des Hauses 5 um das Jahr 1837 (LII), dann stößt man auf Johann Georg Frey (1800 - 1879). Er ist ein Großneffe des Johann Martin Frey (1720 - 1803, F 553), der 1749 Anna Katharina Keck (1715 - 1764) geheiratet hat. Diese Frau wiederum ist eine Urenkelin des Hans Keck († 1680, F 434) aus dem Lagerbuch (L). Das paßt alles gut zusammen.

So bleibt für die Nachfolge des Ochsenguts nur noch das Haus mit der Nummer 47 übrig (Foto). Es hat auf der Flurkarte von 1837 ungefähr eine Länge von 17 m und eine Breite von 11 m, mithin eine Grundfläche von ca. 187 qm (der zugehörige Kataster weist eine Grundfläche, ohne kleinere Anbauten, von genau 186,4 qm für das Gebäude 47 aus). Südlich des Hauses finden wir einen Baumgarten, Gebäude und Garten sind im Westen von der Hauptstraße, in den anderen drei Richtungen von Wegen begrenzt.

Markiert dieses Ensemble in der Nachbarschaft des Ochsentors den Standort des alten Ochsenguts? Die vollständige Standortbeschreibung des Guts im Lagerbuch von 1668 lautet so: „Ein Behaußung mit der Zugehört, sambt einem Platz, darauff man ein Schopf bawen kann, allerseits zwischen des Closters Allmeindt stehendt". Aus dem Platz, auf dem man einen Schopf bauen kann, könnte innerhalb von 170 Jahren (1668 – 1837) durchaus ein Baumgarten entstanden sein. Und Straßen und Wege, wenn sie nicht ausdrücklich als privat bezeichnet sind, sind öffentlich, also Allmeindt. Vorsichtig ausgedrückt, widerlegt also die Standortbeschreibung des Ochsenguts im Lagerbuch nicht unsere Hypothese von der Identität der Standorte des alten Ochsenguts und des Hauses 47.

Anders als die Hochbauten, die durch Brand und andere Einwirkungen zerstört oder auch aus freien Stücken abgetragen und verändert werden können, sind die Keller der Gebäude beständiger. Im September 1998 haben daher Architekt Bohnet und Walter Ruoss aus Klosterreichenbach sowie der Autor den Keller der heutigen Metzgerei Koch inspiziert. Wir fanden ein altes, etwa vier Meter breites Gewölbe entlang der gesamten Straßenfront des Gebäudes mit einer Länge, die etwa der Breite von elf Metern des alten Hauses 47 entspricht. Leider entdeckten wir keine Hinweise, die eine genauere Altersbestimmung des Gewölbes, die uns ja weit in die Zeit vor 1837 führen müßte, erlaubt hätte.

So haben wir zwar keinen unumstößlichen Beweis für den Standort des alten Ochsenguts, aber doch einige Indizien. Die Betrachtung der Besitzer des Hauses 47 wird weitere Hinweise beisteuern.

 
3. Die Besitzer des Hauses 47

Schlägt man im Kataster nach (LII), so findet man als Besitzer des Hauses 47 zur Zeit der ersten Flurkarte den Bäcker und Bierwirt Franz Jacob Klumpp (1785 - 1845). Dieser Name lässt natürlich aufhorchen, befand sich doch das Ochsengut seit 1651, Bernhard Klumpp (1606 - 1692, F4) aus Röt hatte das Gut gerade gekauft (XXI), in den Händen der Familie Klumpp. Nun sitzen um 1800 viele Klumpps in Reichenbach, so dass wir die Herkunft des Franz Jacob überprüfen müssen (L). Er ist aber tatsächlich ein Enkel des Ochsenmeiers und Waldknechts Christian Klumpp (1732 - 1809, F 510), der das Ochsengut 1769 nach Süden vor die Ringmauer verlegte (heute: Waldknechtshof).

Als Gründe für die beantragte Aussiedlung hatte Christian Klumpp 1768 zwei genannt: es sei innerhalb der Ringmauer zu eng geworden und das Haus sei baufällig, sogar lebensgefährlich baufällig (XXVII). Während sich die erste Begründung mit einem Blick auf die Karte ohne weiteres nachvollziehen lässt, weckt die zweite doch einige Zweifel: sie setzt ja voraus, dass die angesehene und gewiss nicht ärmliche Familie Klumpp den Besitz so herunterkommen ließ, dass er unbewohnbar wurde. Das ist nicht recht glaubhaft. Richtig ist sicher, dass die Aussiedlung von Christian Klumpp gewünscht wurde, weil sie Vorteile hatte, ganz unabhängig vom Zustand des alten Wohnsitzes.

Christian Klumpp hatte drei Söhne, die das Erwachsenenalter erreicht haben (L):

  • den Ochsenmeier Johann Christian Friedrich Klumpp (1773 - 1845, F 359), der als jüngster Sohn das ausgesiedelte Ochsengut (früher Haus 24, heute Waldknechtshof) erbte (XXII);
  • den Waldknecht und Schultheißen Adam Klumpp (1760 - 1822, F 568), der 1794 einen zweiten Hof (früher Haus 25, heute Rathaus) baute (XXVII);
  • den Taglöhner Jacob Friedrich Klumpp (1756 - 1844, F 683), dessen Sohn wir um 1837 als Besitzer des Hauses 47 finden.
  • War auch schon Jacob Friedrich Klumpp, der Vater, im Besitz des Hauses 47? Es spricht einiges dafür: er besitzt 1790 eine "Behausung" innerhalb der Ringmauer, für die, geht man die Besitzverhältnisse insgesamt durch, eigentlich nur das Gebäude 47 in Frage kommt (XXII). Im Jahr 1800 hat Jacob Friedrich Klumpp ein steuerpflichtiges Vermögen von 417 fl. Dies ist ein für einen Taglöhner ungewöhnlich großes Vermögen, wie ein Vergleich mit anderen Taglöhnern zeigt: deren steuerpflichtiges Vermögen liegt meist unter 100 fl. Jacob Friedrich Klumpp versteuert sogar ein größeres Vermögen als seine beiden Brüder (213 fl. und 153 fl.), die vielleicht durch Teilung und Bau des zweiten Hofes (Haus 25) Schulden haben. So weisen auch die Vermögensverhältnisse des Jacob Friedrich Klumpp auf einen soliden Besitz hin (IL).

    Damit verdichten sich die Anzeichen, dass Jacob Friedrich Klumpp, der älteste Sohn des Christian Klumpp, den aufgegebenen, innerhalb der Ringmauer liegenden alten Hof des Ochsenguts übernahm und, soweit notwendig, renovierte. Des weiteren ist sehr wahrscheinlich, dass das Haus mit der Nummer 47, das Franz Jacob Klumpp, Sohn des Jacob Friedrich und Enkel des Christian Klumpp um 1837 besitzt, mindestens vom Standort her identisch ist mit dem alten Hofgebäude des Ochsenguts. An dieser Stelle finden wir heute das Haus der Metzgerei Koch, vormals Würth.

    Typoskript: 09/98
    Druckversion: Freudenstädter Heimatblätter, 09 und 10/1999
    Internetversion: 10/03
    Aktualisierung: 10/03
    Der Buchstabe F mit nachfolgenden Ziffern verweist auf das Ortssippenbuch
    von G.Frey (
    1987)